Das
Klinikviertel in der Nordstadt Marburgs entwickelte sich ab Mitte des 19.
Jahrhunderts, was nicht zuletzt an der Annexion Kurhessens durch Preußen 1866
lag. Zuvor schon waren Klinikneubauten notwendig geworden, konnten jedoch aus
finanziellen Gründen nur schwer realisiert werden. Die Notwendigkeit lag
einerseits in steigenden Patienten- und Studentenzahlen sowie an der seit
Anfang des 19. Jahrhunderts raschen wissenschaftlichen Entwicklung innerhalb
der Medizin, welche bald Spezialisierungen des Faches erforderte. Hinzu kam,
dass sich der Schwerpunkt der Lehre immer mehr auf das Praktikum verlagerte,
was die Studenten aus den Hörsälen heraus und hinein in die Kliniken führte.
Die Wahl des Areals für das Klinikviertel war weniger eine bewusste, obwohl das
Elisabethhospital als Kliniksgebäude natürlich schon lange vorher bestand. Nach
Auflösung des Deutschen Ordens fiel Anfang des 19. Jahrhunderts ein Großteil
des Territoriums als Schenkung an die Universität. Teilweise wurden alte
Gebäude genutzt, teilweise wurde durch Abriss aber auch Platz für Neubauten
geschaffen. So erstrecken sich die Instituts- und Kliniksgebäude heute entlang
der Ketzerbach, dem Pilgrimstein, der Deutschhausstraße sowie der
Robert-Koch-Straße.
Kerndaten:
Titel des
Objekts: St. Elisabethhospital
Adresse: Pilgrimstein
Datierung: 13. Jahrhundert |
Nach Auflösung
des Deutschen Ordens fiel das Elisabethhospital als einstöckiger Steinbau
1811/13 durch Schenkung König Jérôme Bonapartes an die Universität. Den
kläglichen Rest des Gebäudes stellen heute die Mauern mit Spitzbogenfenstern
der Hospitalkapelle dar, die 1818 zum Operationssaal der Chirurgie umgebaut
wurde. Neben der kleineren Chirurgischen befand sich außerdem die
Internistische Abteilung im Hospital. Durch den stetigen Zuwachs an Patienten
sowie Studenten konnte auch das 1822 errichtete zweite (Holz-)Geschoss den
Platzmangel nicht mehr wettmachen. 1888-1891 wurde das Elisabethhospital nach
Auszug der medizinischen Abteilungen schließlich bis auf den Chor der
Hospitalkapelle abgerissen, um Platz für den Neubau des Physiologischen
Instituts zu schaffen.
Kerndaten:
Titel des
Objekts: Institut für Anatomie
Adresse: Ketzerbach 63
Datierung: 1839-1842
|
Der
Vorgängerbau des Anatomischen Instituts, das Theatrum Anatomicum, wurde 1787/88 auf Deutschordensgebiet
errichtet und kann somit als Keimzelle des Klinikviertels gesehen werden. Der
verputzte Fachwerkbau, der nach der Auflösung des Collegium Carolinum in Kassel dort ab- und in Marburg
wiederaufgebaut wurde, wurde bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts
genutzt. Die Errichtung des Anatomischen Instituts, welches auch „Alte
Anatomie" genannt wird, erfolgte 1842. Die Fassade des heute
dreigeschossigen Baus wird dominiert von Rundbogenfenstern und -portalen. Besonders
hervorgehoben ist der Eingangsbereich – einerseits durch die Errichtung als Mittelrisalit, andererseits durch das
Vorhandensein von gleich drei nebeneinanderliegenden Portalen. Monumentale
Wirkung erhält der Eingangsbereich durch jeweils zwei flankierende Kolossalpilaster und die große Freitreppe. Heute
befindet sich hier das Institut für Pharmazeutische Technologie.
Kerndaten:
Titel des
Objekts: Chirurgische Klinik
Adresse: Pilgrimstein 2
Datierung: 1858
|
Der Neubau der
Chirurgischen Klinik, unter kurhessischer Ägide von Friedrich Lang errichtet,
stellte nicht nur eine große Qualitätssteigerung der Behandlung, sondern auch
der Lehre dar. Großzügigere Planung im Bereich der Krankenbetten kamen den
Patienten zugute und ließen eine bessere Observation durch die Studenten zu.
Wie das benachbarte Institut für Physiologie und Pathophysiologie ist die
Chirurgische Klinik ein neogotischer Bau. Unterschiede lassen sich vor allem am
Hauptportal erkennen, das sehr viel reicher verziert ist als beim
Nachbargebäude. Diesen Umstand verdankt die Klinik ihrer etwas größeren
Entfernung zur Elisabethkirche. Neben dem Institut für Physiologie und
Pathophysiologie wurden unter preußischer Regierung außerdem das Institut für
Anatomie und Zellbiologie (1899-1902, Robert-Koch-Straße 8) und die Klinik für
Augenheilkunde (1883-87, Robert-Koch-Straße 4) im neogotischen Stil errichtet,
die allerdings nach Kriegszerstörung bis 1951 verändert wieder aufgebaut
wurden. Dennoch zeichnen sich die neogotischen Institutsgebäude durch
langgestreckte Baukörper mit giebelbekrönten Mittelrisaliten
und eine gotische Formensprache aus. Der Gebäudekomplex des Instituts für
Anatomie und Zellbiologie enthält darüber hinaus das überaus sehenswerte Museum Anatomicum. Die Dauerausstellung
im Dachgeschoss umfasst mehr als 3000 anatomische Präparate, die zwischen 1596
und 1920 gesammelt wurden. Öffnungszeiten sowie Preise sind über die Homepage
des Instituts einsehbar.
Kerndaten:
Titel des
Objekts: Carolinenhaus/Kinderklinik
Adresse: Deutschhausstraße 12
Datierung: 1922-1927
Architekt: Martin Spielberg
|
Das am
Firmaneiplatz befindliche Carolinenhaus, welches als Universitäts-Kinderklinik
gebaut und bis zum Umzug auf die Lahnberge als solche genutzt wurde, gehört zu
den Jubiläumsbauten der Universität. Zum vierhundertjährigen Bestehen wurde es
hauptsächlich vom Preußischen Staat, zu einem nicht geringen Teil aber auch von
Ehrenbürger George D. Horst finanziert. Der Bau besteht aus drei Flügeln, die
abgewinkelt zueinander stehen. Die unmittelbare Nähe zur Elisabethkirche setzte
bei der Planung der Fassaden eine gewisse Schlichtheit voraus, um eine störende
Wirkung zu verhindern. So bestehen die einzigen Besonderheiten der Fassade aus
den Dreiecksgiebeln der Gauben und vereinzelt vorkommenden Risaliten. Seit 2006 befindet sich das Zentrum für
Nah- und Mitteloststudien im Carolinenhaus. Direkt gegenüber befindet sich die
ehemalige Hals-Nasen-Ohrenklinik, die unter gleichen Umständen erbaut wurde.
Rebekka Gilbert